Warum dieser Post?
Im Internet kursieren in Foren und Videos quer durch alle Marken öfters veraltete, aufgewärmte oder schlicht falsche Informationen zum Thema Balancing.
Oft liest man, dass für das Zellbalancing eine regelmässige Aufladung auf 100% SOC (State of Charge) nötig ist.
- Ich bin da klar anderer Meinung. Ein modernes BMS (auch das vom Vorgänger-Kona und vom SX2) kann unabhängig vom Ladezustand die Zellspannungen angleichen. Dies kann bei Bedarf sowohl im Ruhezustand, wie auch beim Laden und in Grenzen beim Entladen geschehen. Dies ist auch der wichtigste Satz und die Quintessenz.
Leider ist es nicht einfach, dies hieb- und stichfest zu belegen, das erklärt auch den Wildwuchs an Meinungen. Die Hersteller geben sich meist zugeknöpft, Hyundai/Kia gehört auch dazu. Die in breiter Masse verwendeten Balancer-ICs und Verfahren sind aber bekannt, zusammen mit Nutzererfahrungen lassen sich Rückschlüsse ziehen.
Ich gebe hier also meine Erkenntnisse mal weiter und hoffe ein paar Dinge aufklären zu können. Verzeiht den unglaublich langen Post.
Ich habe diesen im Bereich SX2 erstellt, weil mich schlussendlich interessiert wie es dort gemacht wird. Der SX2 EV ist aber noch zu neu, es gibt kaum zerlegte Akkus. Darum orientiere ich mich bei anderen Fabrikaten sowie dem Vorgänger-Kona und ähnlichen Hyundai/Kia Akkus.
Balancing vs Reichweitenkalibrierung
Oft wird Balancing verwechselt mit Reichweitenkalibrierung. Ab und zu (alle paar Monate) den Akku 100% vollladen, und dann unter 20% leerzufahren hilft dem BMS die Akkukapazität wieder sauber zu bestimmen (Reichweitenkalibrierung). Auch das sehe ich aber kaum nötig bei modernen BMS.
Was ist nun Balancing?
Balancing=Ausgleichen der Spannungsunterschiede von in Serie geschalteten Lithium-Ionen Akkuzellen. Die Synchronhaltung der Spannungen ist sehr wichtig für den sicheren Betrieb des Akkus, und für die Aufrechterhaltung der Gesamtkapazität. Ich konzentriere mich in diesem Post auf Lithium Ionen Akkus mit NMC (Nickel-Mangan-Cobalt) Zellchemie, wie sie im SX2 und auch im Vorgänger verbaut ist.
Balancing-Verfahren
Die zwei grundlegenden Verfahren, passives und aktives Balancing sind hier sehr anschaulich dargestellt (ab Minute 4).
- Passives Balancing
Zellen mit höherer Spannung werden an die tieferen angeglichen durch gezielte Entladung über Widerstände, welche wiederum durch spezielle Balancer ICs mit MosFET Schaltelementen gesteuert werden im Zusammenspiel mit dem übergeordneten BMS.
Der Begriff passiv ist daher etwas irreführend. Es sind mehrere Mikrocontroller und Software involviert. Darum sind auch passive Systeme sehr clever, und können bei beliebigem Ladezustand balancen (das macht auch mein Modellbau-Balancer so, während der gesamten Ladedauer)!
- Aktives Balancing
Hier wird die Energie von Zellen mit höherer Spannung nicht vernichtet, sondern umverteilt, also von stärkeren zu schwächeren Zellen transferiert. Dies ist aufwändiger, aber effektiver. Auch hier gibt es spezielle Balancer-ICs (z.B. LTC3300). Kann sein dass solche Systeme zukünftig an Bedeutung gewinnen.
Wer tagelang lesen will, hier verlinkt eine gute Zusammenfassung von wissenschaftlichen Arbeiten zum Thema.
LGChem und Hyundai haben auch Patente welche aktive Verfahren beschreiben. Zur Nutzung konnte ich nichts herausfinden.
Wie ist das Balancing nun bei den Herstellern konkret umgesetzt?
Stand heute habe ich nur passive Systeme gefunden, auch in neueren Fahrzeugen (wie oben erwähnt können auch diese jederzeit balancieren).
Zuerst kurz der Akkuaufbau.
- 2-4 Akkuzellen (Spannung 3.3 – 4.2V je nach Ladezustand) werden parallelgeschalten zu Zellpacks, diese verhalten sich wie eine einzige grosse Zelle mit gleicher Spannung. Hier ist die Spannung automatisch synchron durch die Verschaltung.
- 4-6 Zellen werden dann in Serie geschalten zu Modulen.
- Mehrere Module werden wiederum in Serie geschalten, was schlussendlich eine Zellenzahl von ca. 96-108 Zellen (400V System), oder 192 Zellen (800V System) ergibt.
- Da nur kleinste Abweichungen korrigiert werden müssen, reichen Balancerströme im mA Bereich aus. Gerade deshalb macht es aber keinen Sinn, erst bei 100% SOC zu balancen, sondern immer wenn Differenzen bestehen. Das BMS kennt auch die geladene / entladene Energiemenge (Wh), und kann so bei jedem SOC (Ladezustand) zusammen mit der Zellspannung den Zustand beurteilen. Kann eine Zelle mehrfach nicht ausreichend balanciert werden, wird eine Fehlermeldung ausgegeben, und das betreffende Akkumodul kann getauscht werden.
Hier nun ein paar Beispiele mit den verwendeten (passiven) Balancer Chips:
- Nissan Leaf: Chip D15110 oder D15112 (Quelle)
- Peugeot Ion, Chevrolet Bolt (ähnlicher Akku wie der Vorgänger-Kona), Mitsubishi Outlander und viele mehr: Chip LTC6802 oder LTC6804 Hier ein Video vom Outlander, welches ab Minute 8 erklärt, wie im Ruhezustand, beim laden oder entladen balanced werden kann.
- Kona (Vorgänger)/Kia Niro EV (1. Gen): Die Chips sind nicht gelabelt, es ist aber vergleichbare passive Technik zu sehen.
- Tesla M3: Chip LTC6813 (Quelle)
- Audi E-tron: Den exakten Chip konnte ich nicht finden.
Audi sagt jedoch selber in den Servicemanuals, dass ab 30% SOC das Balancing bei Bedarf erfolgt.
Hier auf Github rezitiert und getestet.
- Hyundai Ioniq5 / Kia EV6: Chip MAX17845 (ein moderner passiver Zellmonitor/Balancer für bis zu 12 Zellen und Balancerströme bis 150mA pro Zelle) Video vom Akkuaufbau und Modulreparatur
und hier eine Diskussion wie ein getauschtes Ioniq5 Modul angelernt wird, auf Seite 3 des Posts das Statement, dass der Ioniq5 auch im ausgeschaltenen Zustand versuchte zu balancieren. Eine wichtige Aussage im zitierten Thread scheint mir auch, dass zum anlernen (und balancieren zu den anderen Modulen) keinesfalls auf 100% geladen werden sollte =>also balanciert der Ioniq5 auch bei weniger als 100%.
- Kia Niro EV SG2 (2. Generation): 24 Module, 96 Zellen. BMS Master-Slave, in der Ersatzteilliste sind die selben Balancer Boards aufgeführt wie beim EV6, der wiederum die gleichen wie der Ioniq5 hat.
- Kona SX2 EV Akku 65.4 kWh:
Der SX2 ist ziemlich neu, ich habe nur wenige Infos gefunden.
Der Aufbau wird ähnlich sein wie das Modulkonzept vom Ioniq5, Kia EV6 und Kia Niro EV SG2 (2. Generation). Da diese drei alle die gleichen Balancerboards mit 2x MAX17845 benutzen, vermute ich dies auch beim SX2.
Was ich auslesen konnte mit Carscanner:
108 Zellpacks in Serie, (bestehend aus vermutlich ebenfalls 3 jeweils parallelgeschaltenen Pouch-Zellen). Zellspannung bei 100% Vollladung (effektiv 96.5% im BMS) = 4.16V. Gesamtspannung 108 x 4.16 = 450V.
Aus wie vielen Modulen der Akku gebaut ist konnte ich nicht herausfinden. Es sind 18 Packs im Carscanner aufgelistet, jedoch nur bei 17 wird eine Temperatur angezeigt.
Der Modulaufbau ist also anders als beim Kia Niro EV SG2.
Carscanner zeigt weiter sämtliche Zellspannungen. Die Darstellungsauflösung ist 20mV (0.02V). Ich konnte im ersten Betriebsjahr nie grössere Zelldrifts als diese 20mV sehen, egal ob beim Laden, beim Entladen, oder im Ruhezustand. Dies obwohl ich nur ca. 4x pro Jahr auf 100% geladen habe. Ein Fehlerzustand liegt erst oberhalb von 60mV vor.
Mein Fazit zum SX2: Die Zellspannungen werden dauernd überwacht und balanced bei Bedarf, egal bei welchem Ladezustand.